Das ruhige Mädchen in der letzten Reihe, sie geht aufs Gymnasium. Tine schreibt ganz gute Noten, meistens zwischen 2 und 3. Die mündliche Mitarbeit ist nicht ganz so gut. Aber das stört die Lehrer nicht, Tine stört ja auch nicht. In der Grundschule waren die Lehrer auch ganz zufrieden, Tine war gut in der Schule und hat nicht gestört.
Wenn man Tine beobachtet, dann sieht man, Tine kaut an den Fingernägeln, Tine kaut auf den Stiften rum, Tine hat ständig etwas in der Hand.
Tine wird immer stiller, die Eltern wundern sich, es ist doch alles gut, die Noten stimmen, es gibt keinen Ärger zu Hause, obwohl Tine oft lange für die Hausaufgaben braucht, schafft sie sie irgendwann doch.
Tine meckert nicht, sie macht was von ihr verlangt wird.
Aber wenn man Tine fragen würde, würde man hören, dass es Tine nicht gut geht, Tine hat eine ständige innere Unruhe, Tine fühlt sich schlecht, weil sie weiß, dass die viel mehr kann, aber es nicht hinbekommt, sie fühlt sich dumm weil sie immer so lange braucht. Sie hat Probleme bei den Arbeiten fertig zu werden. Sie fühlt sich unsichtbar und will auch unsichtbar sein, damit niemand merkt, dass sie ja eigentlich dumm ist.
Was tun?
Bei mir in der Praxis tauchen immer mehr Tines auf, wenn ich Glück habe schon in der Schule, weil die Eltern oder ein Lehrer aufmerksam war. Oft aber auch erst im Erwachsenenalter, wenn die jungen Frauen selbst drauf gekommen sind, dass irgendwas nicht stimmt. Sie haben in der Pubertät viel durchgemacht, sie waren irgendwann beim Psychiater und / oder beim Psychologen, sie haben viele Diagnosen bekommen, oft Depressionen, Borderline und haben auch Essstörungen entwickelt.
In keiner der Diagnosen haben sie sich wiedergefunden, die Medikamente haben alle nicht so richtig geholfen. Irgendwann haben sie sich selbst auf die Suche gemacht und sind auf die Themen AD(H)S oder auch Autismus-Spektrums-Störung getroffen. Das passte irgendwie, aber was jetzt?
An dem Punkt wird es schwierig, für Erwachsene nochmal mehr als für Kinder- und Jugendliche. Das Thema läuft leider immer noch unter dem Radar. AD(H)S bei Erwachsenen wird zum Glück langsam bekannter, auch durch Menschen wie Hirschhausen, der eine Sendung im ARD dazu gemacht hat.
Aber eine Diagnose zu bekommen macht es noch nicht leichter. Bei Autismus sieht es noch schlimmer aus, da gibt es ein paar Stellen, die aber für Frauen und Mädchen oftmals ungeeignet sind, weil eben die typischen Merkmale nicht so auffällig da sind.
Mädchen und Frauen sind Meister im Masking (dazu demnächst mehr in meinem Blog), z.B. auch Augenkontakt halten.
Ich würde mir wünschen, dass die Fachleute aufmerksamer gegenüber Mädchen und Frauen und ihren Problemen sind und nicht direkt die altbekannten Schubladen aufmachen. Ja, viele haben Depressionen, aber der Grund dafür ist in den Fällen ein unerkanntes AD(H)S oder Autismus-Spektrum.
Fazit: Guckt auf „Das ruhige Mädchen in der letzten Reihe“ und sucht Hilfe.